Kriegsgefangen (elõszó)
Historische Zeugnisse, die vom Krieg erzählen, gehören zum Wichtigsten, freilich auch zum Schwierigsten in einem Geschichtsmuseum. Denn zwischen der materiell meist dürftigen Hinterlassenschaft und dem im Wortsinne Unbeschreiblichen, das der Krieg Menschen antut, klafft ein Abgrund, den alle gutwillige Interpretation kaum zu schließen vermag. Hier ist auch das Unbehagen begründet, das viele Menschen heute gegenüber den traditionellen militärhistorischen Museen haben. Denn die Technisierung und Industrialisierung des Krieges im 20. Jahrhundert, seine aller völkerrechtlichen Distanz zwischen Kombattanten und Zivilbevölkerung hohnsprechende Totalisierung läßt daran zweifeln, ob ein so altmodisches Medium wie das Museum mit seinen methodischen Grenzen der rechte Ort für solche Erinnerungen sei.
Dieser Selbstzweifel gilt auch für das hier vorgestellte Thema. Kriegsgefangenschaft, als eine Zeit äußerster Entbehrung, oft als eine Leidenszeit vor einem bitteren Tod, ist Massenschicksal in zwei Weltkriegen gewesen. Hunger, Kälte, Krankheit, Mißachtung der Menschenwürde gehörten zum Alltag des Gefangenendaseins. Freilich auch der unbezwingbare Wunsch, in extremer Lebenssituation den Horizont der menschlichen Sehnsucht nach Normalität nicht zu verlieren. Es liegt auf der Hand, daß sich die Zeugnisse für diesen Überlebenswillen eher erhalten haben als Hinweise auf das sprachlose Grauen vieler Situationen. Ausschnitte aus dem Gefangenenalltag also sind überliefert, wurden gesammelt und archiviert. Sie sind der stillen und nachdenklichen Betrachtung wert.
Wenn sich in diesem Band fast nur Gegenstände und Dokumente von deutschen Kriegsgefangenen finden, so ist dies nicht Ausdruck der Ignoranz gegenüber den Leiden ausländischer Gefangener in deutschen Lagern. Vielmehr ist die Einseitigkeit dem Sammlungsbestand geschuldet, der dem Deutschen Historischen Museum übereignet wurde. Es handelt sich dabei um Teilbestände des Archivs des Verbandes der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermißtenangehörigen Deutschlands e. V., Bonn-Bad Godesberg (gegr. 1950). Zu diesem Archiv zählt auch der Bestand des nach dem Ersten Weltkrieg gegründeten Archivs und Museums der Kriegsgefangenschaft, Berlin.
Dem Verband der Heimkehrer gilt an dieser Stelle unser Dank für die Überlassung der historisch so aufschlußreichen Objekte.
Berlin, September 1990
Christoph Stölzl